Winterregen von Robin (alter Titel: Weirdos)

 

Kapitel 17 - Höhen und Tiefen

Als ich am Donnerstagmorgen aufwachte, war es bereits nach halb Zehn. Eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass ich in dieser Nacht so lange und vor allem so gut schlafen würde. Nach den Ereignissen des letzten Tages hatte ich eher mit einer weiteren unruhigen Nacht gerechnet. Naja, jedenfalls erschien mir die Welt nun schon wieder etwas freundlicher. Ich räkelte mich und gähnte lautstark.

»Ich dachte schon, du wachst überhaupt nicht mehr auf«, hörte ich Kevins Stimme sagen.

Ich drehte mich auf die Seite und sah zu ihm hinüber.

»Na und? Du liegst doch auch noch im Bett«, konterte ich.

Er lag auf dem Bauch und hatte die Decke bis hoch über die Schultern gezogen. Da das Kopfende seines Bettes zur gegenüberliegenden Wand zeigte, konnte ich von meiner Position aus nur seinen Hinterkopf sehen, der ein Stück in die Höhe ragte, was daran lag, dass er sein Kinn auf beide Hände gestützt hielt.

»Bin aber trotzdem schon über 'ne Stunde wach«, erwiderte er beiläufig, ohne zu mir herüberzublicken. Stattdessen verlagerte er kurz das Gewicht seines Kopfes auf die eine Hand, so dass er mit der anderen das Buch umblättern konnte, in dem er las.

»Und? Spannend?« wollte ich wissen, einfach nur um irgendetwas zu sagen.

»Geht so.«

»So langsam entwickelst du dich hier noch zur Leseratte.«

»Was soll ich sonst auch machen, wenn du so lange schnarchst.«

»Hä? Hab ich echt geschnarcht?«

»Nö.«

Damit nahm unser Wortgeplänkel ein vorläufiges Ende. Ich richtete mich auf, strich mir durch die Haare und schlug die Decke zurück.

»Gibt's sonst was Neues?« wollte ich wissen, während ich schnell nach meiner Hose griff, um nicht sofort der Versuchung zu erliegen, mich wieder ins warme Bett zu kuscheln.

Bevor er auf meine Frage antwortete, klappte er sein Buch zu. 'Grisham' stand in großen Lettern auf dem Titel, mehr konnte ich auf die Entfernung nicht erkennen. Dann richtete er sich auf und wandte sich mir zu. Anscheinend hatte er tatsächlich etwas zu berichten.

»Ja, meine Eltern kommen am Wochenende.«

»Oh«, antwortete ich. »Hast du mit denen heute etwa schon telefoniert? Dann muss ich ja echt ziemlich fest geschlafen haben, wenn ich davon nichts bemerkt habe.«

»Nee, das weiß ich schon seit gestern, bin bloß noch nicht dazu gekommen, dir was davon zu sagen.«

Vorsichtig fuhr er fort: »Naja, tagsüber warst du total auf Daniel fixiert. Und abends ... du weißt schon.«

Ja, ich wusste, was er meinte. So langsam schien ich aber doch mit dem Gedanken klarzukommen, dass Daniel nicht mehr hier war. Zumindest verfiel ich nicht gleich in Depressionen, nur weil Kevin seinen Namen erwähnte.

»Und? Freust du dich auf deine Eltern?« wollte ich schließlich wissen.

»Klar. Naja, hauptsächlich sind's meine Eltern, die sich darauf freuen, mich mal wieder zu sehen. Kann ich ihnen ja schlecht abschlagen, oder?«

Er wurde nachdenklich.

»Ich hab ihnen verdammt viel Sorgen gemacht in letzter Zeit«, fuhr er fort. »Als ob das mit Marco nicht schon schlimm genug für sie gewesen wäre.«

»Hey, mach dir keine Vorwürfe deswegen.«

»Das versuch ich ja, ist nur nicht so einfach.«

Er wälzte sich aus dem Bett und blickte mich ein wenig niedergeschlagen an. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er sich fühlte. Mal wieder fiel mir nichts Passendes ein, was ich ihm hätte antworten können. Ich ärgerte mich, dass ich überhaupt nachgefragt hatte. Kevin schien mir meine Unsicherheit aber anzusehen.

»Ist schon okay, David. Ich komm damit klar. Es tut nur verdammt weh, wenn ich mir vorstelle, dass meine Eltern in den letzten Wochen ganz allein waren in unserem Haus ... und um Marco getrauert haben ... und sich gleichzeitig um mich Sorgen gemacht haben. Ich wünschte, ich hätte ihnen einiges davon ersparen können.«

Ich war froh, dass Kevin in den letzten Tagen in der Gruppentherapie schon häufiger über diese Gefühle geredet hatte. Dadurch musste ich nicht befürchten, dass er jetzt wieder in ein tiefes Loch fiel.

»Naja, seit Sie merken, dass ich hier klarkomme, geht's ihnen glaub ich schon ein ganzes Stück besser.«

Er rappelte sich auf und rang sich ein Lächeln ab. Am liebsten hätte ich ihn kurz in den Arm genommen, beließ es dann aber bei einem aufmunternden Blick, als er an mir vorbei ins Bad ging. Bevor er die Türe hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal kurz um.

»Warte erst mal ab, bis die mich hier wieder sehen. Wenn die dann merken, dass es mir inzwischen ganz gut geht, werden sie sich wahrscheinlich wahnsinnig freuen.«

Damit schien er sein kurzes Tief auch schon wieder überwunden zu haben.

Der Rest des Tages zog sich dann so dahin. Da wir donnerstags alle kaum zu irgendwelchen Therapien mussten, hatten wir jede Menge Freizeit. So kamen wir wenigstens dazu, noch mal nach einem Geburtstagsgeschenk für Nadine zu suchen. Diesmal wurden wir fündig und brachten einen niedlichen Teddybären mit zurück in die Klinik. Nadine würde sich sicher über etwas freuen, mit dem man auch mal kuscheln konnte. Am liebsten hätte ich mir zu diesem Zweck auch selbst gleich so ein Plüschtier gekauft. Das fand ich dann aber doch zu peinlich. Was hätte Kevin wohl von mir gedacht, wenn ich plötzlich so ein Ding mit ins Bett nahm? Naja, als Ersatz für einen schnuckeligen Boy hätte es ohnehin nicht getaugt. So einen hatte das kleine Spielwarengeschäft aber leider nicht im Sortiment.

Auch wenn der Ausflug in den Ort etwas Abwechslung brachte, wurde ich mir an diesem Tag über eines klar. Die restliche Zeit unseres Aufenthaltes in der Klinik würde wohl recht langweilig werden. Irgendwie wurde alles hier immer mehr zur Routine und die Beschäftigungsmöglichkeiten in der freien Zeit waren begrenzt. Sicher hätte das anders ausgesehen, wenn Daniel hier geblieben wäre. So gut ich mich auch mit Kevin, Thomas und den drei Mädchen verstand, wir kannten uns inzwischen eben schon fast zu gut. Daniel dagegen war aufregend gewesen und geheimnisvoll, fast so wie Kevin am Anfang. Aber er war nun mal verschwunden und hatte seine Geheimnisse mitgenommen. Insgeheim hoffte ich ja immer noch, dass er hierher zurück kommen würde. Es konnte ja sein, dass die andere Klinik, in die er verlegt worden war, doch nicht so ideal für ihn war. Objektiv betrachtet waren das natürlich nur Wunschträume. Es war wohl besser, ihn einfach zu vergessen.

So verging eben die Zeit, ohne dass für mich etwas Aufregendes passierte. Am Freitag machte sich Thomas sofort nach der Gruppentherapie auf den Weg zum Bus. Er hatte dem Besuch bei Stefan zwar mit gemischten Gefühlen entgegengesehen, konnte es dann aber doch kaum erwarten, zu ihm zu kommen. Die Zugverbindung nach Langenbergen war am Freitagabend nicht gerade ideal, aber wenn er erst am nächsten Morgen gefahren wäre, hätte er eine Nacht weniger zusammen mit Stefan verbringen können und außerdem verdammt früh aufstehen müssen. Zumindest letzteres war überhaupt nicht nach Thomas' Geschmack.

Am Samstag nach dem Frühstück kamen dann auch schon Kevins Eltern. Die beiden hatten sich im Ort ein Hotelzimmer genommen und wollten erst am Sonntagnachmittag wieder abreisen. Verständlicherweise hatten sie vor, so viel Zeit wie möglich mit ihrem Sohn zu verbringen. Für diesen Tag hatten sie geplant, sich mit Kevin die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung anzuschauen. Damit war unsere Gruppe auf vier Personen zusammengeschmolzen. Naja, der Tag wurde trotzdem ganz nett, aber so langsam überlegte ich ernsthaft, mir doch einmal ein Buch zu schnappen und ein paar hundert Seiten zu lesen.

Als dann am Sonntag auch noch Christina und Nadine Besuch bekamen, blieb mir tatsächlich nichts anderes mehr übrig, als zur Leseratte zu mutieren. Kevin hatte mich zwar morgens gefragt, ob ich den Tag mit ihm und seinen Eltern verbringen wollte. Das hatte ich aber dankend abgelehnt. Ich wäre mir wohl irgendwie als Störfaktor vorgekommen. Auch wenn die drei bereits einen ganzen Tag miteinander verbracht hatten, wären Kevins Eltern vielleicht nicht ganz glücklich gewesen, wenn ich nun die traute Familienatmosphäre beeinträchtigt hätte. Schließlich war ich für die beiden ein Fremder. Na gut, ich hatte mich am ersten Tag eine Weile mit ihnen unterhalten und seitdem hatten wir einige Male ein paar Worte miteinander gewechselt, wenn sie anriefen und ich zufällig den Hörer abnahm. Aber was änderte das schon? Außerdem konnte einem ein Wochenende verdammt kurz erscheinen, wenn man sich ewig nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich genossen Kevins Eltern jede Minute, die sie ungestört mit ihrem Sohn verbringen konnten ohne dabei Rücksicht auf mich nehmen zu müssen. So verbrachte ich den Tag eben lesend auf dem Bett, bis Kevin kurz nach zwei Uhr plötzlich ins Zimmer gestürmt kam.

»Ah, gut dass du hier bist«, keuchte er. Er schien ziemlich außer Puste zu sein.

»Ist was passiert?« fragte ich besorgt.

»Nö, keine Sorge.«

Immer noch heftig atmend machte er eine beschwichtigende Handbewegung.

»Ich hab mich nur beeilt, weil meine Eltern unten im Auto warten. Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du jetzt nicht doch noch mitkommen willst. Wir gehen noch im Ort ins Café, bevor meine Eltern wieder heimfahren.«

»Ach, ich weiß nicht«, antwortete ich unentschlossen. »Ich will euch nicht stören.«

»Ja, das hast du heut früh schon gesagt. Meine Eltern möchten dich aber gerne einladen und sich bei dir bedanken.«

»Wofür denn?«

»Hey, tu nicht so, als ob du das nicht wüsstest. Los, steh endlich auf und komm mit.«

Bevor ich irgendetwas erwidern konnte, flog mir schon meine Jacke entgegen. Notgedrungen schlüpfte ich hinein und zog noch schnell meine Schuhe an. Irgendwie war mir nicht besonders wohl bei dem Gedanken, wieder mit Kevins Eltern zusammenzutreffen. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie verzweifelt und besorgt die beiden gewesen waren, als sie Kevin hier in der Klinik abgeliefert hatten. Und da war noch etwas, worüber ich mir Gedanken machte. Was hatte Kevin seinen Eltern über die Dinge erzählt, die sich hier zwischen uns ereignet hatten? Wahrscheinlich nicht viel, aber irgendetwas musste er ihnen schließlich gesagt haben, wenn sie sich jetzt zu dieser Einladung verpflichtet fühlten.

»Hast du mit deinen Eltern darüber geredet, was hier so alles passiert ist?« fragte ich ihn deshalb, während wir durch den Gang zum Treppenhaus eilten.

»Hey, ich hab schon nichts verraten, was dir peinlich sein könnte«, beruhigte er mich. Er schien sofort zu wissen, worauf ich hinauswollte.

»Ich hab ihnen noch nicht mal gesagt, dass du schwul bist und mich ganz geil findest«, fügte er übermütig grinsend hinzu, nachdem er ein paar Schritte vorausgeeilt war, um etwas Sicherheitsabstand zu gewinnen. Noch ehe ich auch nur den Hauch einer Chance hatte ihm hinterher zu springen, um ihm einen Stoß in die Rippen zu versetzen, rannte er auch schon mit einem Affenzahn die Treppe hinunter. Ich versuchte erst gar nicht ihn einzuholen. Seine scherzhafte Bemerkung konnte ich ihm ohnehin nicht übel nehmen. Sie zeigte ja nur, dass der Besuch seiner Eltern ihm richtig gut getan hatte. Er strahlte eine Lebensfreude aus, die ich in dieser Intensität bisher noch nicht von ihm gekannt hatte. Das Davonlaufen hätte er sich also wirklich sparen können.

Am Haupteingang wartete er auf mich. In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Belustigung und gespielter Angst wider.

»Beim nächsten Mal gibt's für so 'ne Bemerkung ein paar blaue Flecken«, drohte ich ihm.

Einen sanften Knuff bekam er dann doch noch ab. Er quittierte ihn mit einem Kichern. Bevor wir die Klinik verließen, bemühten wir uns dann wieder um eine etwas ernstere Miene. Still liefen wir die letzten Meter zum Mercedes der Winters hinüber. Kevin öffnete eine der hinteren Türen und ließ mich als erstes ins Auto steigen. Während ich noch zur anderen Fahrzeugseite durchrutschte, wurde ich auch schon freundlich von seinen Eltern begrüßt. Von Anfang an gaben die beiden mir das Gefühl, willkommen zu sein. Die Atmosphäre war überhaupt nicht verkrampft, wie ich zuerst befürchtet hatte, und die Zeit im Café verging wie im Flug. Naja, die beiden wollten dann schon so einiges von mir wissen, aber eher ganz allgemeine Dinge. Woher ich kam, was ich sonst so machte und all solche Sachen. Die beiden wollten wohl einfach erfahren, wer denn da seit fast drei Wochen mit ihrem Sohn auf einem Zimmer wohnte. Ich ließ mich dadurch jedenfalls nicht beirren und verspeiste genüsslich ein großes Stück Erdbeertorte.

Irgendwann wurde es dann für Kevins Eltern Zeit aufzubrechen.

»Christa, wenn wir rechtzeitig zuhause sein wollen, dann müssen wir jetzt langsam los. Wir müssen ja auch noch im Hotel unser Gepäck abholen, wenn wir die beiden Jungs zurückgebracht haben.«

»Also um uns braucht ihr euch nicht zu kümmern, wenn ihr's eilig habt«, meinte Kevin. »Wir kommen auch so zurück in die Klinik, oder David?«

Ich nickte zustimmend.

»Ganz wie ihr wollt«, erwiderte Herr Winter. »Ihr müsst ja sonst auch immer laufen, wenn ihr in den Ort wollt. Und das Wetter ist heute ja auch schön.«

Wie üblich hätte ich den Rückweg bei schlechtem Wetter noch viel lieber zu Fuß angetreten, aber das konnte Kevins Vater schließlich nicht wissen. Etwas frische Luft würde aber auf keinen Fall schlecht sein. Wir verließen das Café und gingen noch mit Kevins Eltern zu dem Parkplatz zurück, auf dem sie ihr Auto abgestellt hatten. Dort verabschiedete ich mich höflich und sah zu, wie die beiden Kevin nacheinander umarmten. Frau Winter drückte ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Backe, was Kevin ein wenig peinlich zu sein schien. Jedenfalls verzog er das Gesicht und verdrehte die Augen. Naja, ich hätte vielleicht lieber dezent zur Seite sehen sollen, anstatt ihn gerade in diesem Moment anzugrinsen.

»Lass es dir gut gehen«, sagte sie, nachdem sie Kevin wieder losgelassen hatte. »Und du weißt ja, wo du uns dann ab Mittwochabend anrufen musst, falls du etwas willst oder falls etwas sein sollte.«

»Ja Mama, wie oft willst du mir das noch sagen? Außerdem rufst du ja sicher selbst noch mal an, bevor ihr fahrt.«

»Ich weiß, ich weiß. Und denk dran, Enrico würde sich wirklich freuen, wenn du dich mal bei ihm meldest und ihm sagst, wie es dir geht.«

Ich verstand nur Bahnhof. Das war aber auch kein Wunder, schließlich hatte Kevin mit seinen Eltern in den letzten beiden Tagen sicher einiges besprochen, wovon ich nichts wusste. Vielleicht würde ich ja auf dem Rückweg etwas mehr erfahren. Erst einmal sahen wir aber noch zu, wie die Winters ins Auto stiegen und sich auf den Weg zurück ins Hotel machten. Als der Mercedes verschwunden war, seufzte Kevin kopfschüttelnd.

»Meine Mum ist schon wieder ganz die Alte. Erzählt mir alles fünf Mal, damit ich's auch ja nicht vergesse.«

»Das kenn ich, meine Mutter ist genauso.«

Wir drehten uns um und machten uns auf den Weg zurück zur Klinik. Bis auf ein paar vereinzelte Schleierwolken war der Himmel an diesem Nachmittag tatsächlich strahlend blau. Die Landschaft, die sich uns bisher so oft in einem trübsinnigen Grau präsentiert hatte, wirkte heute schon frühlingshaft bunt.

»Haben deine Eltern heute noch was vor, weil sie es so eilig hatten?« wollte ich unterwegs dann wissen. »Und was hat deine Mutter mit Mittwochabend gemeint?«

»Neugierig bist du überhaupt nicht, oder?«

»Wenn du nicht willst, musst du ja nichts erzählen.«

»Nee, ist schon okay. Also ...« begann er seine Ausführungen. »Ich hab dir doch schon mal erzählt, dass meine Mutter mit 'ner Freundin so 'nen Klamottenshop betreibt.«

Ich erinnerte mich. Er hatte das sogar schon mehrmals erwähnt. Die Frau hieß Heilmann oder so ähnlich.

»Jedenfalls hat die zusammen mit ihrem Mann im Allgäu 'ne Ferienwohnung«, fuhr Kevin fort. »Naja, dorthin haben die beiden meine Eltern für eine Woche eingeladen. Sie haben wohl gedacht, meine Eltern würden da mal auf andere Gedanken kommen. Und solange ich noch hier bin sollen sie die Gelegenheit beim Schopf packen und einfach mitkommen.«

»Und am Mittwoch fahren sie los«, kombinierte ich.

»Genau. Du weißt schon, wenn ich erst mal wieder zu Hause bin, fahren meine Eltern garantiert nicht mehr weg. Die lassen mich dann sicher keinen Moment aus den Augen.«

Kevins Stimmung schien sich bei diesem Gedanken sofort wieder etwas einzutrüben.

»Hey, mit der Zeit wird sich das sicher alles wieder normalisieren.«

»Hoffentlich.«

Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, doch er hatte sich bereits wieder selbst ganz gut im Griff.

»Naja, jetzt können sie erst mal eine Woche gemütlich Langlaufen. Zumindest wenn's dort unten Schnee gibt.«

Mit theatralischen Bewegungen fügte er hinzu: »Und wenn nicht, dann können sie immer noch ausgedehnte Spaziergänge durch die beschauliche Bergwelt machen.«

Wir grinsten uns gegenseitig an.

»Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, was deine Eltern heute noch vorhaben«, stellte ich fest.

»Naja, eigentlich wollten sie ja überhaupt nicht mit ins Allgäu. Zumindest nicht bevor sie sich überzeugt haben, dass es mir gut geht und dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen, wenn sie mal eine Woche weg sind. Als ob sie mich von dort aus nicht auch ständig anrufen könnten. Auf jeden Fall wollten sie sich erst endgültig entscheiden, wenn sie hier waren. Und für heute Abend sind sie mit den Heymanns zum Essen verabredet, damit sie ihnen ihre Entscheidung mitteilen und alles besprechen können.«

»Ach so«, antwortete ich. Jetzt wurde das Ganze schon etwas klarer. Nur eine Frage blieb noch offen. Ich entschloss mich, sie einfach zu stellen.

»Und wer ist Enrico?«

Kevin zögerte mit der Antwort.

»Ach, das ist nur ...«

Er brach den Satz in der Mitte ab und schüttelte den Kopf.

»Hey, macht's dir was aus, wenn ich dir das 'n anderes Mal erzähle?«

»Nö, ist schon okay, wenn du nicht drüber reden willst«, antwortete ich etwas enttäuscht.

Ich nahm mir vor, ihn im Laufe des Abends noch einmal vorsichtig auf das Thema anzusprechen, aber dann kam mal wieder alles ganz anders, so dass ich die Sache mit Enrico völlig vergaß.

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