Winterregen von Robin (alter Titel: Weirdos)

 

Kapitel 7 - Noch mehr Geständnisse

Nachdem uns Thomas seine Geschichte erzählt hatte, waren nun Kevin und ich an der Reihe, ihm auch etwas über uns zu erzählen. Wir erledigten das draußen auf der Terrasse. Thomas brauchte dringend die nächste Zigarette. Wir stellten uns nebeneinander vor das Geländer und Thomas hörte sich aufmerksam Kevins Geschichte an.

»Oh Mann, tut mir echt leid. Da geht's mir mit meinem prügelnden Vater ja noch richtig gut dagegen«, sagte er mitfühlend, als Kevin seinen Kurzbericht beendet hatte. Dann sah er mich an.

»Und, was ist mit dir?«

Ich zuckte mit den Schultern und senkte den Kopf.

»Naja, ich hab 'ne Angsterkrankung. Prüfungsangst und so«, antwortete ich. Immer noch hatte ich Probleme, diese Worte auch nur auszusprechen.

»Aber irgendwie frag ich mich so langsam, ob das überhaupt so wichtig ist. Wenn ich höre, was ihr so durchgemacht habt ...«, fügte ich leise hinzu.

»Hey, und ich hab so langsam das Gefühl, dir fehlt einfach nur ein richtiger Boyfriend«, sagte Kevin plötzlich zu mir.

Ich sah ihn erstaunt und erschrocken an. Meine Kinnlade klappte herunter.

»Wie kommst du denn darauf?« stammelte ich.

»Nur so ein Gefühl.«

Ah ja, den Satz hatte ich doch heute schon mal von ihm gehört. Naja, immerhin hatte er da recht gehabt.

»Du solltest dir Visitenkarten drucken lassen: 'Kevin Winter, Hobbypsychologe'«, fauchte ich ärgerlich.

»Ach komm, David. Ich hab dir hier doch schon mein ganzes Seelenleben offenbart, jetzt bist du langsam dran«, bekam ich von Kevin als Antwort.

»Irgendwie ist das bei mir alles nicht so einfach, wie du denkst. Ich glaub nicht, dass das jemand versteht«, erwiderte ich leise. Ich stütze mich mit den Ellenbogen auf das Terrassengeländer und starrte senkrecht hinunter auf den Parkplatz. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauerte, bis die Spucke den Boden erreichte, wenn man hier hinunterspuckte.

Kevin klopfte mir auf den Rücken.

»Los, erzähl einfach«, sagte er.

»Mensch, du und die Psychologin, ihr wart die ersten, denen ich erzählt hab, dass ich schwul bin. Weißt du, wie schwer mir das gefallen ist? Nicht unbedingt bei der Psychologin, die reagiert auf so was ja professionell, aber bei dir.«

»Ja und? Ich hab doch auch ganz cool drauf reagiert, oder?« erwiderte Kevin grinsend.

Ich lächelte ihn gequält an.

»Ja, war richtig witzig«, sagte ich ärgerlich.

»Okay, ich versprech dir, ich werd diesmal nicht so 'ne Show abziehen, ganz egal was du zu erzählen hast.«

»Na gut«, sagte ich leise. Dann sah ich zu Thomas hinüber.

»Soll ich euch besser allein lassen?« fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, bleib hier, vielleicht versteht mich dann wenigstens einer von euch.«

»Jetzt mach's doch nicht so spannend«, meinte Kevin.

Ich atmete tief durch.

»Okay, es gibt da was, was ich noch nie jemandem erzählt habe«, fing ich an.

Die beiden sahen mich erwartungsvoll an. Ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen sollte. Nach einer Weile holte ich tief Luft.

»Ich steh' total auf Kapuzenklamotten«, sagte ich dann einfach. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Worte nur gedacht oder wirklich ausgesprochen hatte. Verstohlen blickte ich zuerst nach rechts zu Kevin, dann nach links zu Thomas und wartete auf irgendeine Reaktion. Ich hatte komplett mein Zeitgefühl verloren. Wie viele Stunden waren inzwischen vergangen, seit ich diesen Satz gesagt hatte?

»Ja und, ist das alles?« hörte ich irgendwann von rechts.

Ich drehte mich um und blickte Kevin ins Gesicht.

»Hey, kann's sein, dass du mich nicht richtig verstanden hast?« fragte ich ihn. »Ich finde Klamotten mit 'ner Kapuze dran geil! Nicht nur geil, sondern richtig geil

Kevin zuckte mit den Schultern.

»Na und, was soll's? Was ist da so schlimm dran?«

»Hey, das ist doch nicht normal, oder?« sagte ich. »Ich bin fast gestorben vor lauter Geilheit, als du am Mittwoch die Kapuze da aufhattest.«

Ich deutete auf die Kapuze von Kevins Snowboardjacke. Mein Puls raste.

»Komm, jetzt beruhig dich erst mal«, sagte Kevin gelassen und legte mir seinen Arm um die Schulter.

»Willst du doch mal 'ne Kippe?« fragte Thomas von der anderen Seite und streckte mir seine Schachtel Marlboro entgegen.

Ich schüttelte den Kopf, ohne zu merken, dass er das natürlich nur scherzhaft gemeint hatte.

»Dann eben nicht«, meinte er und nahm sich stattdessen selbst eine weitere Zigarette aus der Packung.

Schweigend standen wir eine Weile nebeneinander mit dem Rücken zum Geländer. Während Thomas genüsslich nikotinhaltigen Rauch inhalierte, hörte ich dem wilden Pochen meines Herzens zu. Irgendwann war es dann Thomas, der sich zu mir umdrehte.

»Hey, David, es gibt andere, die stehen auf Leder. Oder auf versiffte Turnschuhe. Oder vollgeschwitzte Tennissocken. Oder Windeln.«, versuchte er mich zu beruhigen.

»Du kennst dich damit wohl aus.«

»Hey, das weiß doch jeder.«

»Na und? Deswegen komm ich mir trotzdem abnormal vor.«

»Was ist schon normal«, erwiderte Thomas.

Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Für eine Weile setzte Schweigen ein.

»David?« fragte Kevin irgendwann vorsichtig.

»Ja?«

»Hast du 'ne Ahnung, woher das bei dir kommt?«

»Was?«

»Na das mit den Kapuzen.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Irgendwie ist das schon so, so lange ich mich erinnern kann. Mir war's schon als kleines Kind immer total unangenehm, wenn's geregnet hat und ich 'ne Kapuze aufsetzen musste. Aber irgendwie fand ich's trotzdem immer ziemlich aufregend. Ach Scheiße, ich weiß nicht, wie ich euch das erklären soll.«

Mann, was faselte ich da nur für wirres Zeug.

»Leute, können wir vielleicht wieder das Thema wechseln?«, bettelte ich.

»Hey, das muss dir doch nicht so peinlich sein«, erwiderte Kevin.

»Ist es aber.«

»Mensch, jetzt werd mal wieder locker«, forderte Kevin mich auf. »Man könnte glatt meinen, du hättest uns was weiß ich was gebeichtet.«

Thomas zündete sich inzwischen bereits die dritte Zigarette an. Er musste ja glauben, er wäre hier direkt in der Irrenanstalt gelandet. Aber eigentlich wirkte er ganz ruhig und gelassen. War ich wirklich der einzige, der meine komische Neigung so absonderlich fand. Oder nahmen die beiden mich einfach nicht richtig ernst? Hätte ich mein Geheimnis doch nur für mich behalten!

»Wenn du wirklich so auf Kapuzen stehst, warum hat deine Daunenjacke dann nicht mal eine?« wollte Kevin wissen. Konnte er das Thema nicht endlich auf sich beruhen lassen?

»Hat sie doch«, antwortete ich notgedrungen. Ich drehte ihm meinen Rücken zu und klappte den Kragen etwas nach oben, damit er den Klettverschluss hinter meinem Nacken sehen konnte.

»Ah, da drinnen«, hörte ich Kevins Stimme von hinten. »Auf solche Notkapuzen stehst du also auch.«

Notkapuzen nannte er diese Dinger also. Oh Mann, so langsam geriet die Situation völlig außer Kontrolle.

»Ja, gerade auf solche«, antwortete ich leise.

»Is ja krass!«

»Mensch, das sag ich doch die ganze Zeit.«

In diesem Moment hörte ich das typische Geräusch, das beim Öffnen eines Klettverschlusses entsteht.

»Hey Kevin, lass den Scheiß«, schrie ich erschrocken auf, aber da war es bereits zu spät. Kevin war bereits dabei, die dünne Kapuze aus dem Kragen herauszuholen.

»Ach komm David, is doch nichts dabei.«

Mit einem genervten Gesichtausdruck blickte ich kurz über meine Schulter zu Kevin. Natürlich hätte ich mich auch einfach umdrehen und Kevin einen harmlosen Stoß in die Rippen versetzen können, und das Spielchen wäre beendet gewesen. So ließ ich ihn eben gewähren. Erinnerungen an eine Szene aus meiner Kindheit schossen mir durch den Kopf. War da nicht mal etwas in der ersten oder zweiten Klasse bei einem Schulausflug gewesen?

Kevin stülpte mir von hinten die dünne Kapuze über den Kopf und zog zu allem Überfluss auch noch die Kordel so fest, dass die Kapuze mir fast die Augen verdeckte. Irgendwie fand ich die Situation ziemlich peinlich. Andererseits musste ich zugegeben, dass mir das Spielchen auch gefiel. Ich schätzte, dass Kevin das auch wusste. Als er fertig war, klopfte er mir auf die Schulter. Mit der Kapuze auf dem Kopf drehte ich mich zu ihm um.

»Was sollte das jetzt?« fragte ich ihn.

Er zuckte mit den Schultern.

»Ich dachte, es gefällt dir vielleicht«, sagte er mit einem leichten Grinsen.

Naja, er hatte da nicht ganz Unrecht.

Thomas drückte gerade seine Zigarette aus. Ihn schien das Ganze nicht sonderlich zu beeindrucken.

»Also wegen mir können wir jetzt wieder rein«, meinte er.

Ein wenig erleichtert schob ich mir die Kapuze vom Kopf, als wir durch die Tür wieder zurück ins Innere der Klinik traten. Das Thema war vorerst erledigt und wir gingen hinunter zu den Mädchen, die immer noch in der Cafeteria auf uns warteten.

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